Sensoren, das sind Vorrichtungen zur Aufnahme von physikalischen Reizen bzw. Impulsen.  So jedenfalls im Allgemeinen.

Marianne Mandas Sensoren sind anders. Sie sind umfassender: sie registrieren nicht nur Bewegungen und Berührungen, Temperaturschwankungen, Strahlen und geophysikalische Erschütterungen; sie sind auch auf die Wahrnehmung unserer inneren Zustände und Veränderungen geeicht. Sie sind differenzierter. Sie nehmen nicht nur bereits eingetretene Wärme/Abwehr/Kälte- und Zuneigungsschwankungen wahr; sie spüren schon deren allererste Anzeichen auf. Das Spektrum der von ihnen auslösbaren Reaktionen ist unbegrenzt offen: Außer Alarmsignalen, Erdbebenwarnungen, Systemaktivierungen und dergleichen initiieren sie Beschleunigungen des menschlichen Herzschlags, Momente der Selbsterkenntnis, Irritation, Neugierde, Zudringlichkeit, die Ahnung von Glück, ein Aufbrechen alter Narben, Terror und dann den Blick ins Paradies. Und was sie aufzeichnen, ist nicht verloren.

Ihre Hauptinstrumente: eine Kupferplatte (Großformat); der Rabenstein; das Wissen, wie mit Verätzungen und anderen Verletzungen am besten umzugehen ist; ein brillantscharfer Stahlgriffel; Enzyklopädien, in denen das mythische Gedächtnis vergangener Kulturen gespeichert ist; eine tiefe Abneigung gegen zu viel Poesie; eine Kratz- und Wischfähigkeit, die aus Flächen Körper machen kann; ein Arbeitsplatz im Abend- und im Morgenland; eine eigene Presse; und eine Entschlossenheit, der Widerstand (nicht nur des Materials) nur recht zu sein scheint.

Sensoren – so heißt auch jenes Bild, von dem sich die beiden Radierungen ableiten, die der Titel der Leipziger Ausstellung von 1996 benennt: introvers extrovers. Diese Sensoren-Varianten repräsentieren die konträren Extreme, zu denen Sensitivität pervertieren kann. Reine Extroversion mutiert zur Aggression; ausschließliche Introversion bedeutet Selbstausblutung. Beides sind Haltungen, die das ausschließen, was einem anderen Wesen gegenüber zumindest möglich ist: Berührung. Berührung, die am Leben lässt.

Die (Sensoren in den) Sensoren: Was sind sie? Wem gehören sie? Was ist ihr Zweck? Was ist es, was, dem schwarzen Untergrund entwachsend, von beiden Seiten, aufgereiht wie eine Phalanx angelegter Speere, fühlerartig in das Weiß der Mitte sticht? Metallfasern einer miniaturisierten Apparatur, die wir hier tausendfach vergrößert sehen? Sensitive Nervenenden? Individuenfasern, die den Fasern von der anderen Seite hoffnungsvoll entgegenwachsen? Gehören beide schwarzen Seiten einem Körper oder zwei? Oder ist das Weiße selbst ein (Wespen/Frauen-) Leib? Ein Fleisch, das deutlich Spuren blutiger (Selbst-?) Einschnürung zeigt? Oder öffnet sich vor uns der Mechanismus einer Folterpuppen-Hohlform, deren Spritzennadeln auf ihr nächstes Opfer warten?

Marianne Mandas Sensoren bewegen Gegensätze: Thematisch wie formal Konträres aufzuspüren, auszuloten, Spannungsbögen aufzubauen und dann mittels dieser bipolaren Felder aus verborgenen (mitunter bis zu sieben) Schichten Tiefenenergie zu zaubern, das ist die Grundstruktur der Schaffensformel hinter Marianne Mandas Werken. Eisberge beginnen zu brennen; die Zeit kehrt sich um; das Licht kommt aus der Tiefe. Mit kalter Nadel inszeniert: Ein wildes, sanftes, glutvereistes Stachel-Herz.

Georg Meggle, Kempten / Kairo