In Zeiten heftiger Polarisierung trifft eine Angst die andere und Feindbilder haben Hoch-‚Kultur’.

Auf dem künstlerischen Weg, den Marianne Manda seit den achtziger Jahren eingeschlagen hat, ließ sie sich in ihrer ureigenen  Art auf Gegensätzlichkeiten ein. Bereits in ihrer ersten Ausstellung in Damaskus setzte sie sich mit Lebensräumen auseinander. Überlebensgroße Zeichnungen verwiesen auf ihren Anspruch, den Betrachter mit raumgreifenden Installationen aktiv werden zu lassen. Archaische Figuren, Männer und Frauen, bezogen sich auf das prähistorische Verständnis von Figurinen, die sie als archäologische Zeichnerin bei Ausgrabungen vorfand und dokumentierte. Die Frau ist hier als Idol dargestellt. Symbole wie die Schlange oder die Eidechse und Löwe oder Rabe zeugen vom engen Verhältnis zwischen Mensch und Tier.

Tiere spielen von Anfang an eine wichtige Rolle in ihrem Schaffen. Seit der prähistorischen Zeit begleiten sie den Menschen. Im zeichnerischen Werk tauchen bei Marianne Manda immer wieder Tiere auf. Ihr ethnologischer Kontext bringt meist symbolische Konnotation ins Spiel. 2017 widmete sie der Vielfalt der Tierarten als Teil der Schöpfung eine  eigene Ausstellung. Auf riesigen Papierbögen, in Nepal in 2000jähriger Tradition aus der Rinde des Loktabaums handgeschöpft, bringt sie Tiere in innige Beziehungen zu Menschen. Alle stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Mit diesem Appell zur Achtsamkeit berührt sie den Betrachter durch die Art, wie einfühlsam sie mit Graphit und Kreide Charaktere beschreibt.

Dazu traten schon bald Formulierungen, die  mit religiösen Themen, teilweise mit matriarchalischen Vorstellungen, verbunden sind. In Kreuzwegstationen wird Jesus als Frau wiedergegeben. Es sind gestaltete Emotionen, in die eigene Lebenserfahrungen einfließen: Bindung, Vertrauen, Mutterbilder – aber auch Gewalt. Schon früh zeichnen sich Querverbindungen zwischen Traditionen unterschiedlicher Kulturen ab, etwa am Beispiel ritueller Männertänze des Orients und dem Motiv des abendländischen Totentanzes.

Im Titel einer Ausstellung des Jahres 1990 kommt dies anschaulich zum Ausdruck: SCHWARZ – WEISS, JA – NEIN, HEISS – KALT stellt das Spektrum von Begegnungsmöglichkeiten dar. Erstmals nutzt sie dazu das Ausdrucksrepertoire der Radierung. Es eignet sich vorzüglich, um die Polarisierung, die ihr Leben prägt, in ausdrucksstarke Bilder umzusetzen.  Sparsam geht sie in der Kaltnadel mit den Gestaltungsmitteln um. Dass hier Korrekturen nur sehr schwer möglich sind, fasziniert sie und unterstützt ihre Impulsivität. Sie fügt der Kupferplatte gleichsam „zielgerichtete Verletzungen“ zu. Die Ritzungen mit ihrem für diese Technik typischen Grat erzeugen samtweiche Verschattungen. Dazu verleiht sie der Druckfarbe mit dichten Schraffuren Körper und Raum.

Später, bei  den Farbradierungen, legt sie mit tief geätzten Platten Schicht um Schicht Farbteppiche  auf das Papier. Während bei den archäologischen Grabungen Schicht für Schicht abgetragen wird, trägt sie im umgekehrten Sinn Überlagerungen auf. Als „geistiges Ausgraben im umgekehrten Sinn“ kann die 2004 entstandene Serie aus 96 Kupferplatten und 450 Unikaten, GEHEIME BOTSCHAFTEN, verstanden werden. Das arabische Alphabet und skripturale Elemente aus Schriften in verschiedenen Leserichtungen verbindet sie hier mit floralen Ornamenten, Figürlichem und Fragmenten aus dem alltäglichen Umfeld.

Diese Kompromisslosigkeit ist zu einer Konstante in ihrem Schaffen geworden.  Der Mensch in seiner Befindlichkeit mit seiner weiblichen Anima und dem männlichen Animus ruht auf einer Urspannung. Jeder und jedem ist es aufgegeben, dieses Ein-und Ausgespanntsein in die Gegensätze zu begreifen, auszuhalten und auf eine Weise zusammenzuführen, die nicht zur Ausschließlichkeit führt, sondern einschließlich wirkt. Diese spannungsreiche Erfahrung teilt sich in den Arbeiten von Marianne Manda über archetypische Symbole mit. Weil sie in einer interkulturellen Tradition verwurzelt sind, haben sie eine tiefe Erdung.

Das Hin- und Hergerissensein ist ein wesentliches Merkmal ihrer Themen: Da geht es um Leben und Sterben, Geburt und Tod, Mann und Frau, Loslassen und Festhalten, Aufbrechen und Ankommen, Diesseits und Jenseits, Fruchtbarkeit und Dürre, Traum und Leben, aber auch um Liebe und Schmerz, um Fremdes und Vertrautes, eben um den ganzen Kosmos oder anders gesagt: um Abendland und Morgenland.

Tradition bildet den reichen Fundus, aus dem sie schöpfen kann. Überlieferungen dienen Marianne Manda hingegen nicht zur Bestätigung, sie setzt sich vielmehr kritisch mit ihnen auseinander. Einer patriarchalischen Dominanz über die Jahrtausende hin stellt sie selbstbewusst ihre Perspektive gegenüber. Manches erscheint dadurch gegen den Strich gebürstet und wird so nachdrücklicher fassbar.

In einer eindrucksvollen Zusammenschau formulierte sie ihr Weltbild 1991 in einer Rauminszenierung in der Prähistorischen Staatssammlung in München. Auf fünf Räume aufgeteilt, den Gebetszeiten der Muslime entsprechend, ging sie auf abendländisches und orientalisches Kulturgut ein. Die vorgeschriebenen Gebete am Morgen, mittags, nachmittags, am Abend und vor der Nacht umkreisten die Themen Religion, öffentliches Leben, Geschichte und Nachtphantasien. Ihre Arbeiten tragen für Marianne Manda (und damit auch für den Betrachter) den Charakter einer Orientierung.

„Schon als Kind trugen mich meine Träume immer weit fort“, bekennt sie. Expeditionen und Abenteuerreisen faszinierten sie. Und es gelang ihr, diese Sehnsucht ins Leben umzusetzen.

Über dreißig Jahre arbeitet sie nun schon als archäologische Zeichnerin für das Deutsche Archäologische Institut Berlin bei Ausgrabungen in der Türkei, in Syrien, den Arabischen Emiraten, in Äthiopien, Ägypten und im Jemen. „Wie ein Zugvogel“ verbrachte sie die Wintermonate in ihrer „zweiten Heimat“. Mit scharfem Auge, Präzision und Geduld widmete sie sich ihrem Brotberuf, aber ebenso mit Leidenschaft.

Ist es ein Paradoxon, dass sie sich dem eigenen Kulturkreis durch die Entfernung von ihm neu genähert hat, manches aus einem anderen Blickwinkel betrachtet?

Ihre Sehnsucht nach dem Orient entspringt keinem romantischen Exotismus. Sie ist als Ausdruck einer Suche nach sich selbst zu begreifen. Wenn sich die eigenen (mitteleuropäischen) Seh-, Denk- und Lebensgewohnheiten durch die Begegnung mit einer anderen (viel älteren) kulturellen Tradition relativieren, dann stellt sich vieles in einem anderen Licht dar.

Das Sich-Umsehen, Sich-Erkundigen und Unterrichten verändert die eigene Einstellung. Am Beispiel des Frauenbildes sieht dieser Vorgang so aus: Die Aufspaltung der Frau aus männlicher Sicht, einmal heißverehrte, madonnengleiche Mutter, einmal lockende Hure, zieht sich durch christliches und islamisches Denken. Wo bleibt die „Menschin“? fragt Marianne Manda. Antworten darauf finden sich in ihren Bildern. 

Ein Symbol für das Austragen der Gegensätze ist die von Manda erfundene Gestalt der ‚Stierkuh’. Die Kuh ist Symbol der mütterlichen Erde, des bergenden Schutzes und der Fruchtbarkeit; dieses steht in einer Beziehung zum Mond, der die Fruchtbarkeitszyklen beeinflusst. Der Stier ist Symbol der Macht, der Fruchtbarkeit, der Aktivität, von animalischer Kraft und Wildheit und wird in einen Zusammenhang mit der Sonne gebracht.

Beide werden von ihr  zu einer Einheit verschmolzen, die den Namen der Künstlerin trägt und so gleichsam zu einem Bild für die „Menschin“, zu einem Zeichen des Einklangs. In diesem Zusammenhang darf auch der Schleier eines persönliches Rätsels gelüftet werden. „Manda“ bedeutet im Türkischen Büffel. Bezogen auf diese Bildschöpfung bringt sich die Künstlerin auch unmittelbar als Person ein.

Das christliche Thema des Kreuzwegs greift Marianne Manda auf, um daran Befindlichkeiten der Frau aufzuzeigen. Ihr geht es nicht um einen feministisch begründeten Affront, sondern um den Versuch, durch die Übertreibung und durch den Transfer auf das andere Extrem zu verweisen. Sie fordert damit vom Betrachter, dass er den Schritt von These und Antithese zur Synthese macht und deutet einen einschließlichen Weg an. Sie will Christus  nicht vordergründig zu einer Frau machen, sondern sie stellt sich die Frage, wie polare Befindlichkeiten zusammenwachsen und zu einer sinnvollen Verbindung finden: Wie die beiden Seiten zu einem Körper werden können.

Marianne Manda ist in ihrem Element, wenn es um ihr Generalthema geht, um den Zusammenhang, ja um die gegenseitige Abhängigkeit von Leben und Sterben, von Geburt und Tod, von Liebe und Schmerz, von Diesseits und Transzendenz, eingekleidet in Beziehungen zwischen Menschen. Ist denn nicht der Kreuzweg eine (tragische und hoffnungsvolle) Geschichte der menschlichen Gefühle, Anteilnahme?

In der Installation LEBENSRAUM sind übergroße Zeichnungen auf langen  Papierbahnen in den Raum gespannt. Sie stellen eine Verbindung zwischen Boden und Decke, zwischen Erde und Himmel her und werden so (in ihrer Vertikalität) zu einem überbrückenden Element. Die Konfrontation mit riesigen weiblichen Archetypen bezieht ihre Eindringlichkeit aus der archetypischen Wirkung der Symbole, die das weibliche Prinzip beschreiben und dabei nicht nur auf Fruchtbarkeit eingeschränkt bleiben.

Das Eingespanntsein in die Existenz kommt in einer Zeichnung derart zum Ausdruck, dass zu Füßen einer Frau mit erhobenen Armen und emporgerichtetem Blick eine Schlange (als Erdwesen, Symbol der Klugheit, als apotropäisches Tier, als Zeichen der Versuchung) kriecht, während auf ihrem Haupt ein Vogel (als Symbol der Lebenskraft, der Unsterblichkeit des Geistes und der Erkenntnis) ruht. Der idolhafte Charakter der Figuren mit ihrer strengen Frontalität bietet dem Betrachter ein Gegenüber, das immer wieder die Frage nach der Bestimmung stellt.

Im Radierzyklus von 1990/1991 DAS SCHIFF ZIEHT ÜBER’N GELBEN BERG INS FREIE LAND DER MEUTERER (Jürgen Becker) greift sie ihr ureigenes Thema auf: Das Auf-dem-Weg-Sein, die Spannung von Festhalten und Loslassen, von Aufbruch und Ankunft. Das Schiff wird dabei zur Metapher der bergenden und zugleich gefährdeten Behausung ohne festen Boden unter den Füßen. 2007 im Amazonasdelta und 2010 im Pazifik setzte sie diese Vision als fliegende Galionsfigur auf einem Stückgutfrachtschiff um.

Schon viel früher tauchen im Oeuvre von Marianne Manda Aktionen auf. Ihre künstlerischen Themen, die Gegensätzlichkeit und Symbolträchtigkeit der Elemente Wasser, Feuer, Land und Luft verbinden sich hier mit ihrem Temperament und mit der Leidenschaft für die Pyrotechnik. Dafür absolvierte sie eine Ausbildung an der Sprengschule in Dresden.

Für ihre poetischen Performances wählt sie Schauplätze in der Natur und an historischen Plätzen aus. Kraft und Energie bestimmen die Aktionen, meist in Verbindung mit Feuer. Mit Feuerlinien markiert sie Orte, bezeichnet Wege, brennt Markierungen ein, zieht Kreise, schafft Zeichen und Symbole. In Verbindung mit Wasser und Spiegelungen entfaltet das Feuer magische Szenarien. Die Polarität von Zerstörung und Licht und Wärme rührt an elementare Erfahrungen.

Stimmungsvoll begleitet werden diese Inszenierungen von Musik. Nicht selten setzt Marianne Manda  darin als Hauptakteurin Akzente, indem sie sich von exponierten Stellen abseilen lässt oder an Kränen hängend agiert.

Spuren als gezogene oder gelegte Linien spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit Linien fühlt sie sich sicher, sagt sie, weil sie sich damit selbst führt. Darin kommt ein Drang zur autonomen Selbstbestimmung oder gar Selbstbehauptung zum Ausdruck.

Der Landschaftspark des großen Gartens in Dresden, die Nikolai Kirche in Leipzig, Ebbe und Flut im Golf von Aden, das in Tafelberge eingefressene Hadramawt-Tal im Jemen, der Marmor-Steinbruch am Untersberg, die Zeche des Bergbaumuseums in Bochum, eine Sonnwend Performance in Bad Gastein, der Treppenaufgang zur St. Lorenz Basilika in Kempten, das sind nur einige der Schauplätze, wo Marianne Manda lokale Traditionen und Mythen in ihre Inszenierungen eingewoben hat.

Eingebunden in ein Raum-Zeit Kontinuum öffnet sie mit diesen monumentalen Gesamtkunstwerken für einen Moment ein Fenster. Sie gewährt Einblicke in Urvorstellungen menschlicher Geschicke und Archetypen und in Schöpfungsgeschichten. Sie lässt den Betrachter staunen, wie  es ihr immer wieder gelingt, den Bildrahmen zu sprengen. Manchmal tut sie das auch ganz sanft. Sie schafft es ganz einfach, das Meer anzumalen: Sie braucht bloß ihr Kleid mit Farbe tränken und damit ins Meer steigen …

Bei alldem geht ihr dennoch der standfeste Grund nicht verloren. Sie badet zwar gleichsam in den Gegensätzen, denen sie ausgesetzt ist; es gelingt ihr aber auch, mit diesen Polaritäten in einen stimmigen Einklang zu kommen.   

Viel unterwegs, zwischen zwei Kulturen pendelnd, ist sie dennoch nicht ruhelos und gehetzt, sondern hat sich eine Geschmeidigkeit und Elastizität erarbeitet, die sie als das Gegenteil von  Rückgratlosigkeit verstanden wissen möchte. Die ständige Veränderung von einem Ort zum andern hat nicht zu einer Orientierungslosigkeit geführt, sondern vielmehr eine Beruhigung gebracht.

Mit ihren Arbeiten ist sie zu einer Vermittlerin zwischen Gegensätzen geworden. Bei allen Kontrasten laden diese dazu ein, nicht ausschließlich, sondern einschließlich zu denken und zu handeln.

Wolfgang Richter, Salzburg