Wege ins Jenseits
Marianne Manda, den Namen hörte ich das erste Mal – schon damals mit einem Hauch von Bewunderung ausgesprochen – als ich als junge Studentin Ende der 1980er Jahre in Syrien mitten in der Gezirah auf Ausgrabung war. Wir verfehlten uns leider dort, Marianne in einem Zeltlager wohnend, im Euphrat badend, damals zwar noch nicht auf der Suche nach der Königin von Saba, aber nach dem ewigen Geheimnis der vergangenen Kulturen, deren Leben und deren Tod. Voller Bewunderung betrachtete ich die feinen Tuschepünktchen und –linien ihrer Zeichnungen, der mit dem bloßen Auge kaum zu erkennenden winzigen bildlichen Geschichten vorderasiatischer Rollsiegel auf Keilschrifttafeln.
Dann, nur wenige Zeit später, hörte ich von einer abenteuerlichen Reise dieser Marianne in den Jemen, ganz in den Süden der Arabischen Halbinsel, wo sie sich dem Deutschen Archäologischen Institut vorstellte und – neben Ihren vielen Projekten – zum Glück bis heute blieb und in Aden sogar ein Haus mit Atelier baute.
Im Jemen trafen wir uns und arbeiten nun über 20 Jahre zusammen. Marianne zeichnet mit einer Genauigkeit und Ausdauer, unabhängig von Gewehrschüssen und sonstigen menschlichen Verfehlungen der jemenitischen Stammesgesellschaft oder des oft monatelang zusammenlebenden Grabungsteams. Gerne ersteigt sie am Wochenende die riesigen Sanddünen der Innerarabischen Wüste, macht Schießübungen mit den Scheichs oder eine Feuerperformance für die Feier eines herausragenden Fundes oder besonderen Freundes. Neben der Wüste folgt sie uns auch in den Sturm und die Kälte eines archäologischen Projektes im 3000 m hohen jemenitischen Bergland. Hier trägt sie dann eben beim Zeichnen Handschuhe und kämpft statt mit Malariamücken mit den Gebirgsflöhen.
Marianne ist eine wundervolle Frau, Künstlerin, Kollegin und Freundin, die keine nekrophilen Züge trägt, zwar Totenstädte und Grabbeigaben mit ihren Zeichnungen wiedererweckt, in Wahrheit aber das spannende, nie eintönige Leben verkörpert. Für mich daher selbstverständlich: ihre Gegenüberstellung von Toten und Lebenden in der Kemptener und Salzburger Ausstellung … des Grases Blumen (2007).
Das Zentrum der Ausstellung bilden die Toten der Umm an-Nar-Kultur aus dem dritten Jahrtausend vor unserer Zeit. Deren Gräber, oberirdische Rundbauten aus Bruchsteinen von mehr als 10 Metern Durchmesser, können ganze Nekropolen bilden. Wie auf der riesigen Pinselzeichnung Marianne Mandas sichtbar, handelt es sich um das, was der Archäologe Kollektiv- und Mehrfachbestattung nennt: Die Leichname wurden nicht im eigentlichen Sinne begraben, sondern auf den Grabboden oder auf älteren Bestattungen abgelegt. Den Verstorbenen wurden Keramik- und Steingefäße mit ins Grab gegeben. Darüber hinaus bekamen sie ihren persönlichen Besitz wie Perlen und Anhänger, aber auch Metallwaffen zur letzten Ruhe beigelegt.
Die Erforschung alter Zivilisationen heißt häufig die Erforschung der letzten Ruhestätten dieser Gesellschaften. Die Art und Weise, wie die Toten bestattet wurden, welche Beigaben man ihnen ins Grab gab, ob einzeln, innerhalb ihres Familienclans oder in Massen, in Rücken- oder Hockerlage bestattet, ob sie verbrannt oder mumifiziert wurden, wie und ob man die Ahnen verehrte, ob ein Glaube an ein Leben nach dem Tod existierte, eine Bestrafung oder Belohnung der Lebenstaten nach dem Tod erwartet wurde, wie die Grabstätten architektonisch gestaltet waren – all das sind wichtige Mosaiksteine, um auch das Leben dieser Kulturen und ihrer Gesellschaft zu rekonstruieren.
Mit am eindruckvollsten, und in den letzten Jahren gut erforscht, ist der Friedhof des legendären Reiches von Saba in der Oase von Marib, Jemen, direkt bei der wichtigsten Tempelanlage der Region. Eine Hochrechnung des bisher gefundenen Knochenmaterials besagt, dass auf der gesamten bisher bekannten Friedhofsfläche eine Anzahl von ungefähr 20.000 Individuen bestattet waren. Tausende dieser Funde wurden von Marianne Manda gezeichnet. Und – wenn man so will – kann man dies ebenfalls als eine Art Totenkult bezeichnen, mit der wir auf unsere Art und Weise versuchen, die Verstorbenen dem Vergessen zu entreißen.
Iris Gerlach, Berlin